Kevin Hermeneit spricht im ARIC-Interview über KI im Journalismus

Interview | KI, Journalismus und Vertrauen

Wie verändert sich unser Vertrauen in den Journalismus, wenn KIs mitschreiben? Kevin Hermeneit hat sich in seiner Masterarbeit damit beschäftigt. Im Interview spricht er über die Ergebnisse seiner Studie zur Akzeptanz von KI im Journalismus, über Chancen im redaktionellen Alltag und darüber, was Transparenz bedeutet.

 

ARIC: Du hast im Rahmen deiner Masterarbeit Studien zu KI und deren Akzeptanz im Journalismus durchgeführt. Warum findest du das Thema so interessant?

Kevin Hermeneit: Ich strebe danach, dass jeder in Deutschland unabhängigen Journalismus erfahren und konsumieren kann. Ob das jetzt als Schreibender ist oder als jemand, der dafür sorgt, dass das auf einer wirtschaftlichen Basis auch funktioniert. Bei mir eher zweiteres. Und ich kriege es mit, inwieweit KI schon bei uns in der Redaktion verwendet wird.

Mit die größte Befürchtung in der Gesellschaft bezogen auf KI ist das Verzerren von Inhalten und damit eine indirekte und teilweise direkte Beeinflussung auf der Demokratie. Und da habe ich mir die Frage gestellt: Das passt ja nicht so hundertprozentig zusammen – wie kriegt man potenzielle strategische Irrtümer identifiziert? Wie denken handelnde Entscheider und Chefredaktionen eigentlich übers Thema KI im Journalismus? Und wie passt das mit dem zusammen, wie Leser aktuell auf KI gucken, also, wie die Gesellschaft draufguckt? Und gibt es Ableitungen daraus?

 

Was ist denn einer von diesen Gegensätzen, diese Kluft in der Wahrnehmung, die du beschreibst?

Es gibt eine klare Befürchtung, in der in der Gesellschaft zum Thema KI, das ist das Verzerren von Inhalten, die Beeinflussung von Bildern, Videos, Fake News. Und parallel ist es so, dass es die Medien die sind, die uns eigentlich rechtschaffen die Informationen geben sollen – nach dem gewissen ethischen Grundgedanken, nach der journalistischen Sorgfalt, dass ich dort die Informationen kriege, die immer wahrheitsgetreu sind.

Wenn da jetzt KI eingesetzt wird passt das so zusammen? Ich weiß aus der Arbeit bei uns im Unternehmen, dass das zusammenpassen kann. Aber die allgemeinen Befürchtungen muss man ernst nehmen.

 

Bei welchen Menschengruppen gibt es mehr oder weniger Befürchtungen?

Grundsätzlich ist es erwartbar gewesen, dass in der älteren Zielgruppe die Skepsis gegenüber einem Einsatz von KI höher ist als in jüngeren Zielgruppen. Interessanterweise ist es aber so, dass sich die ältere Zielgruppe vom direkten sozialen Umfeld beeinflussen lässt. Wenn ich jetzt mit meinem Großvater sprechen würde und er sagt so: „KI, das ist ja alles Humbug, das ist ja alles Zauberei.“ Und ich sage als Enkelsohn: „Du Opa, pass mal auf, so schlimm ist das nicht. Ich zeig dir mal wie das funktioniert“, dann findet es schneller Akzeptanz als würde jetzt irgendeine Institution oder ein Unternehmen das sagen.

Der klassische Zeitungsleser, auch, wenn es ein E-Paper ist, ist nicht 20–30 Jahre alt. Der ist im Schnitt 40–50 Jahre alt, kann aber, je nach Zeitungstitel, auch höher ausfallen. Und dann stellt sich die Frage: Können Unternehmen oder Redaktionen. einen gewissen Aufwand betreiben, um mit Transparenz Akzeptanz zu fördern? Da wäre die Antwort auf Basis der Daten: Nein, das wäre es eigentlich nicht, da gibt es ganz andere Hebel und die bedienen sich eher an dem sozialen Umfeld.

Ein anderer Punkt ist der, dass die jüngeren Zielgruppen nach den Informationen aus meinen Datensätzen eine höhere Akzeptanz hat, aber auch eine Skepsis. Die lassen sich eher von den gesellschaftlichen Einschätzungen, der gesellschaftlichen Grundakzeptanz von KI beeinflussen. Das ist ja wieder ein ganz anderer Hebel.

 


Der Interviewpartner

Kevin Hermeneit spricht im ARIC-Interview über KI im Journalismus

 

Kevin Hermeneit ist gelernter Medienkaufmann und Referent der Geschäftsführung bei NOZ/mh:n MEDIEN und beschäftigt sich mit strategischen Fragestellungen an der Schnittstelle von Digitalisierung, Medien und Geschäftsmodellen. Er hat Master Business Consulting & Digital Management an der FOM Hochschule studiert.

 


 

Was bedeutet Transparenz praktisch? Wie können sich jetzt Medienschaffende Unternehmen transparent(er) machen?

Unter den Experten und Expertinnen in der Branche, die ich befragt habe, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Zum Teil beziehen sie sich bei Transparenz auf das Grundversprechen: Von uns kriegt ihr wahrheitsgetreue Information, ob da jetzt eine KI dran war oder nicht dran, völlig egal. Wenn wir dieses Grundversprechen nicht mehr einhalten, dann haben wir verloren. Völlig irrelevant, ob ich eine KI dann mit einem Kürzel kennzeichne oder nicht, beziehungsweise einzelne Artikel kennzeichne. Es gab auch den Gedanken: Wenn ich jetzt manche Dinge transparent mache, weckt das nicht schlafende Hunde? Schaffe ich damit nicht eher noch diese Angst und dieses Misstrauen, obwohl wir Redaktion wissen, das ist eigentlich gar nicht so dramatisch. Und dann hätte diese Transparenz demnach eher einen negativen Effekt.

Als ich meine quantitative Studie gemacht habe, habe ich verschiedene Transparenzstufen abgefragt, bei einzelnen Artikeln auch abgestuft: Wurde maschinell erzeugt oder Wurde maschinell unter Verantwortung von Max Mustermann erzeugt und dazu noch die dritte Stufe Wurde maschinell unter der Verantwortung von Max Mustermann erzeugt und auf Richtigkeit geprüft. Das größte Vertrauen ist natürlich da, wo auch auf Richtigkeit geprüft wird. Es ist ein erheblicher Unterschied zwischen maschinell erzeugt und maschinell erzeugt unter der Verantwortung von Max Mustermann. Die menschliche Komponente ist der Schlüssel. Und da kommt man nur auf unterschiedliche Ergebnisse, ob das monetarisierbar ist. Es gibt eine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft, aber die ist ungleich zu einem menschengemachten Artikel.

 

An welchen Stellen wird KI in Redaktionen genutzt?

Transkribieren beispielsweise, so wie dieses Interview. Gehen wir damit über eine KI, sparst du dir damit erheblich viel Zeit und das ist ein Zeitgewinn, den du in qualitative journalistische Arbeit stecken kannst. Auch das Redigieren, das Kürzen und Korrigieren von Texten für den Zuschnitt auf ein Printprodukt oder auch ein SEO-optimierte Headlines. Da gibt es KI-Tools, die intrinsisch von Mitarbeitenden erstellt und adaptiert wurden, du gibst einen Text rein und produzierst eine SEO-optimierte Überschrift. Ein Kollege aus der Redaktion hat ein Tool erstellt, woraus man kleinere Meldungen wie Polizeimeldungen oder ähnliches mal über eine KI erstellen lässt. Man gibt einen Prompt rein, und dann wird n Artikel inklusive Überschrift in der richtigen Größe in der richtigen Qualität erstellt. Dabei weiß man als Redakteur genau, was man da hinschreiben muss, damit die KI arbeiten kann. Da geht es primär momentan um das Optimieren von Arbeitsprozessen in der Redaktion durch den Abbau von repetitiven Arbeitsschritten. Es gibt aber immer mehr Anwendungstiefen anderswo, beispielsweise ganze KI Autoren und Autorinnen. Der oder die Autorin ist eine KI ist auch genauso deklariert und man weiß halt auch genau wenn da ein Text kommt, ist es eine KI.

 

Wie ist die Stimmung innerhalb der journalistischen Zunft dazu?

Im Kern sind alle eher zuversichtlich. Viele Chefredaktionen und KI-Verantwortliche haben mir das Feedback gegeben, dass man Lust hat, das Thema voranzutreiben, dass man aber auch sagt: Wir müssen wir schnellstmöglich diese Geschwindigkeit hinbekommen. Es gibt viele Stimmen, die sagen, das schaffen wir eigentlich nur gemeinsam, denn in der Vergangenheit war man in dieser Branche immer viel zu langsam. Vielleicht schaffen wir es, die Geschwindigkeit hinzukommen, wenn wir uns zusammentun, wenn wir Learnings teilen.
Grundsätzlich steckt in Redakteur:innen immer eine Purpose, zu schreiben und das bestmögliche reinzugeben und das schafft man durch solche Zeitgewinne

Neben der schreibenden Tätigkeit reden wir seit Jahren bei Onlineanwendungen übers Thema Personalisierung. Das ist natürlich auch im Journalismus ein riesiges Feld.

Und wir müssen auch über das Thema Recherche sprechen. Bestimmte Sachen in bestimmten Datenbanken zu recherchieren, ist ein Riesenaufwand. Man sucht sich teilweise akribisch die Informationen raus, die man braucht. Wenn man da in den Investigativjournalismus reingeht, kann eine KI ungemein helfen, Archive zu durchsuchen. Auch das ist etwas was, was auch das Produkt am Ende verbessern kann.

 

Die positive Haltung gegenüber überrascht mich. Ich hätte die Stimmung konservativer eingeschätzt.

Man ist ja auch schlauer geworden aus der Vergangenheit. Wenn man guckt, wie spät manche Medienunternehmer auf das Thema Social Media eingestiegen sind und, wie spät manche auch auf andere Entwicklungen im Zuge Digitalisierung seit Anfang der Zweitausender eingestiegen sind, ist man sich bewusst: Entweder, wir entwickeln jetzt mit oder wir verpassen es.

Dementsprechend ist das eine Aufbruchstimmung, mit dem notwendigen Respekt. Da ist klar der Gedanke, dass es gibt keine Alternative zu einem unabhängigen Journalismus gibt. Der soll weitergeführt werden und dementsprechend möchte man alles dafür tun, um das auch mitzunehmen und für sich zu nutzen.

 

Gar keine negativen Stimmen?

Bei jeglicher Technologisierung geht natürlich immer das Thema Arbeitsplatzverlust einher. Das ist ein Punkt, den ich im Rahmen meiner Arbeit auch aufgenommen habe. Ich habe mehrfach den Satz gehört, den ich auch treffen finde: KI wird nicht deinen Job ersetzen, aber KI wird den Job von Leuten ersetzen, die mit KI nicht umgehen können

Wie krieg ich alle mit? Wie kann ich allen die Angst dazu nehmen? Das ist natürlich Prozess, der nicht einfach ist.

Ein Kollege von mir war gerade auf einem Summit. Da wurde eine Dystopie diskutiert: Was passiert eigentlich, wenn KI die Internetoberfläche, wie wir sie heute kennen, komplett verändert? Wir wissen ja auch, dass zum Beispiel das eine KI auch Google auf einmal gefährlich werden kann. KI-Plattformen crawlen sich die Information von Websites und Nachrichtenseiten. Warum sollte ich dann noch auf eine Nachrichtenseite gehen? Warum sollte ich auf einer Nachrichtenseite noch ein Abo haben? Reichweite kannst du monetarisieren, in Werbeumsätze oder Werbeanalysen umwandeln. Wenn die wegbrechen, macht das dein gesamtes Geschäftsmodell wirtschaftlich vielleicht nicht mehr tragfähig.

 

Am Ende gewinnt dann vielleicht derjenige, der es trotzdem noch schafft, so gute Sachen zu machen, dass die Leute halt auf die Website gehen?

Vielleicht heißt das auch, dass auch eine Trotzbewegung entsteht. Es gibt Leute, die wissen, dass Journalismus ein Eckpfeiler der einer funktionierenden Demokratie. Das ist jetzt aus meiner Perspektive eher unvorstellbar, aber man kann es jetzt mal richtig weiterspinnen, dass vielleicht ein Renaissance Effekt oder ähnliches entsteht? Ganz weit gedacht.

 

Es gibt häufig Gegentrend zu großen Trends.

Der Mensch ist ein entscheidender Faktor in dem ganzen Prozess. Auch aus Sicht einer Redaktion: Wenn ich jetzt Fehler baue, die eine KI macht, weil ich nicht mal drauf geguckt habe, und ich veröffentliche jetzt irgendwas im politischen Kontext, kann das natürlich einen erheblichen gesellschaftlichen Schaden haben.

Alles, was ich hier sage, spiegelt große Teile einer Branche wider, die ich persönlich sehr visionär finde. Das sind alles supervisionäre Menschen. Die einen sehr großen Drive haben, zu sagen: Ich weiß um die Verantwortung von Journalismus. Das spürt man in in allen Interviews, die man führt. Weswegen ich persönlich der Meinung bin, dass die Branche viele Möglichkeiten hat, sich der Geschwindigkeit anzupassen und es zu schaffen, KI sauber in den Journalismus zu überführen. Dass KI nicht gleich bedeutet: Das ist jetzt der Untergang des Journalismus.

Interview: Sabrina Pohlmann

 


Mit unseren Interviews wollen wir euch verschiedenen Perspektiven und Akteure im Themenfeld KI vorstellen. Die Positionen unserer Interviewpartner:innen spiegeln nicht zwingend die Positionen des ARIC wider.


 

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